49. Rennsteiglauf am 21. Mai 2022
Dieses Jahr fand der Rennsteiglauf wieder zur gewohnten Zeit Mitte Mai statt. Da schon im letzten Jahr absehbar war, dass mir 2022 zu wenig Zeit für eine Marathonvorbereitung fehlen wird, habe ich mich schon im letzten Jahr für die Marathon-Wanderung gemeldet. Zu dieser Entscheidung hat auch beigetragen, dass im letzten Jahr auch für die Läufer ein Teil der Strecke entlang der Wandererstrecke verlief und ich diesen Teil landschaftlich reizvoller fand. Beide Streckenteile weichen aber nur die ersten sechs Kilometer voneinander ab.
Am letzten Freitag ging es in gewohnter Weise erst einmal nach Neuhaus am Rennweg, um die Startunterlagen abzuholen und die erste Thüringer Rostbratwurst zu genießen. Den ganzen Tag herrschte auch in Thüringen Gewitterstimmung, die sich auf der Weiterfahrt nach Schmiedefeld in Platzregen entlud. In Schmiedefeld beim „Grünen Baum“ angekommen, hörte der Regen jedoch auf und hinterließ eine angenehme Kühle nach einem eher schwülwarmen Tag. Das frisch gesprengte Grün lud noch zu einem Rundgang durch Schmiedefeld ein.
Am späten Abend waren aus der Ferne jedoch noch Donnergrollen und Blitze zu vernehmen. Bereits bei der Fahrt von Neuhaus nach Schwiedefeld, verhinderte dichter Nebel den Blick auf markante Punkte des Marathons, obgleich die Straße fast nahtlos der Laufstrecke folgt. Die Waldgeister wollten wohl ihre Ruhe haben, um den Rennsteig für den morgigen Tag zu präparieren.
Der Bustransfer nach Neuhaus begann zur gewohnten Zeit um 6:30 Uhr. Am Startort um 8:00 Uhr angekommen, blieb also noch genug Zeit, um abschließend über die Laufkleidung zu entscheiden. Ich habe nach langem Überlegen keine Walking- oder Treckingstäbe mitgenommen, aber eine atmungsaktive Regenjacke mit einer dünnen Windshell-Unterjacke angezogen. Diese Wahl sollte sich noch als optimale Lösung erweisen.
Am Startplatz stimmten Hans aus Neuhaus und die Lichtetaler Musikanten alle rund 2.000 Teilnehmer auf den Lauf ein. Den Startschuss um 9:00 Uhr gab die Landwirtschaftsministerin von Thüringen. Die Wanderer liefen quasi als letzter Startblock über die Startlinie.
Die gesonderte Streckenführung für die Wanderer auf den ersten sechs Kilometern wies auch stark ausgetretene, abschüssige Wegabschnitte auf, die für Läufer ungeeignet wären. Ich hatte erwartet, dass es bei den Wanderern eher gemütlich zugehen würde – weit gefehlt. Der Altersdurchschnitt unterschied sich kaum von dem der Läufer. Neben reinen Walkern waren auch Nordic Walker angetreten, die von ihren Stäben aber meistens in professioneller Weise Gebrauch machten, was sich v. a. in einem angenehm niedrigen Geräuschpegel ausdrückte.
Gleichwohl blieb für das eine oder andere Schwätzchen am Rande genügend Zeit. So erfuhr ich auch den Hintergrund für das erst seit wenigen Jahren bestehende Angebot der Marathon-Wanderstrecke. Die großzügige Wertungszeit von 9 Stunden hatte beim Marathon dazu geführt, dass sich früher viele Walker unter die Teilnehmer gemischt haben und auf der Strecke (verbotenerweise) Walking- oder Treckingstäbe benutzten. Mit der ein eingeführte Wanderstrecke konnte die Anzahl der „Schwarzläufer“ (Erkennungsmerkmale: rote Marathon-Startnummer und Rucksack, um die zusammenlegbaren Stäbe rechtzeitig vor dem Ziel verstecken zu können…) deutlich reduziert werden. Zudem bietet der Rennsteiglaufverein den Marathonwanderern wie auch den Läufern einen vorzeitigen Ausstieg mit Zeitnahme am Dreiherrenstein (Kilometer 34).
Das Wandern war auf so einer langen Strecke eine neue Erfahrung, die sich mit den frühen Läufen auf fast derselben Strecke nicht vergleichen ließ. Ich hatte zwar mehr Muße und Gelegenheiten für das eine oder andere Foto. Gleichwohl war es wichtig, ein gleichmäßig hohes Schritttempo zu halten. Das Wandern führt zu einem im Vergleich zum Laufen geringeren Energieumsatz, so dass man bei ungeeigneter Kleidung intensiver dem Wetter ausgesetzt ist. Die wegen des verminderten Tempos längere Gehzeit verstärkt diesen Effekt.
Dies zeigte sich auch bei den Wetterbedingungen am Wettkampftag. Auch um die Mittagszeit und am frühen Nachmittag blieb das Thermometer unterhalb der 20-Grad-Marke. Wegen des häufig auffrischenden Windes habe ich die Jacken nie komplett ausgezogen, sondern nur gelegentlich die Reißverschlüsse halb geöffnet. Mangels Handschuhen hatte ich auf den windigen Höhenzügen um Kahlert zeitweise sogar kalte Hände. Der Läuferleitsatz „Was du am Start trägst, schleppst du auch ins Ziel.“ (von einer Wanderin auf der Strecke geäußert, die mit ihrer neuen Disziplin noch reichlich fremdelte) hat nach meinen Erfahrungen wohl nur eine eingeschränkte Aussagekraft.
Wie gesagt, meine gewählte Ausstattung hat sich keinesfalls als überflüssiger Ballast erwiesen. Dies und die hervorragende Versorgung an den Verpflegungsstützpunkten sorgten dafür, dass ich nach 8 Stunden und 11 Minuten erschöpft, aber glücklich das schönste Ziel der Welt auf dem Sportplatz von Schmiedefeld erreicht hatte.
Die Wanderung werde ich sicherlich auch im nächsten Jahr, dem 50. Rennsteiglauf am 13. Mai 2023 wiederholen.
Jean-Luc Gerlach