Grönland – Spurensuche 2012 – die unvollendete Expedition
Es ist Ende August. Wir, zwei PLCler, stehen mit zwei weiteren Expeditionskameraden am Rand der grönländischen Eiswüste. Aus dem Tal ist, langsam näher kommend, das markante Geräusch eines Helikopters zu hören. Er wird uns hier aufsammeln und nach Tassilaq, eine kleine Stadt an der Ostküste Grönlands zurückfliegen. Hinter uns liegt eine mehrwöchige Tour über das Inlandeis. Es war ein grandioses Naturerlebnis! Wie immer (zumindest für mich kann ich das sagen). Die anderen Drei waren das erste Mal hier oben auf dem nicht mehr so ewigen Eis.
Eigentlich wollten wir zu diesem Zeitpunkt irgendwo ca. 600 km weiter westlich, fast am anderen “Ufer” des Eises sein. Geplant war eine Überquerung der gesamten Eiskappe von Tassilaq nach Ilulissat auf einer historischen Route, die 1912 von einer schweizerisch-deutschen Gruppe erstbegangen wurde. Die Tour hätte 35 Tage dauern sollen. So mischt sich in die Freude über eine z.T. erfolgreiche, zu Ende gehende Expedition eine gehörige Portion Ärger und Frust. Wenn wir an der gescheiterten Durchquerung selbst schuld gewesen wären, wäre es noch gegangen, aber wir mussten abbrechen, weil zwei nagelneue Schlitten nach nur wenigen Tagen zerbrochen waren.
Vor vier Wochen sind zu viert aufgebrochen: Stephan Orth (Hamburg), Gregor Rückamp (Ingolstadt), Jan von Szada (PLC) und ich, (Wilfried Korth, PLC). Jeder von uns hatte andere Gründe für die Teilnahme. Stephan war auf den Spuren seines Großvaters, der 1912 dabei war unterwegs, Jan und Gregor reizte vor allem die sportliche Herausforderung und ich wollte ein Profil von Messpunkten nachmessen, um Gletscherveränderungen zu erfassen. Es war für mich die vierte Expedition aus des Eis Grönlands.
Die ersten Tage waren eine unglaubliche Strapaze. Der Schnee auf der Gletscheroberfläche war verschwunden. Das ist zum Ende des Sommers in Grönland normal. Aber der Bereich mit hartem, buckeligem Eis war viel größer, als ich es von meinen früheren Expeditionen kannte. So waren es nicht 2 Tage Plackerei, sondern mehr als das Doppelte! Und die Oberfläche war wesentlich zerfurchter und mit unzähligen Buckeln überdeckt. Dementsprechend kamen wir anfangs nur langsam voran. Oft mussten die Schlitten durch zwei Personen bewegt werden, um das Gelände überhaupt bewältigen zu können. Wir haben sogar manchmal Teile der Ausrüstung ein Stück in Rucksäcken getragen und dann die nun leichteren Schlitten nachgeholt.
Während dieser ersten Tage sind aber eben leider auch zwei der vier Schlitten zerbrochen. Wir hatten vor der Tour extra zwei neue gekauft, da uns die zehn Jahre alten, die schon mehr als 2000 km Grönlandeis auf dem Buckel hatten, nicht mehr zuverlässig genug erschienen. Am Ende haben die alten Pulken die Strapazen klaglos und fast unbeschadet überstanden, die beiden neuen Hi-Tech-Teile waren Schrott! Die Regel “Never change a winning team!” scheint auch für Ausrüstung zu gelten.
Die Stimmung in der Truppe war fast auf dem Nullpunkt. Aber Hinfallen ist nicht schlimm, nur lange Liegenbleiben! Also Kopf hoch und Blick nach vorn: Auch mit den zerstörten Schlitten ging noch Etwas! Durch ausgezeichnetes Wetter begünstigt konnten wir uns, nun auf hartgefrorener, spaltendurchzogener Schneeoberfläche, noch fast 150 km weiter bewegen und das Profil vermessen. Für den Rückweg vom Eis wählten wir dann eine andere Route. Wir haben uns genau auf dem alten Weg der Mannschaft von 1912 bewegt und so auch einen Teil der Messungen von vor 100 Jahren wiederholen können. Und wir konnten sogar recht leicht die ersten 100 km des Rückweges bewältigen. Mit dem Wind im Rücken schafften wir “unter Segeln” bis zu 40 km am Tag!
Wenn es auch keine rundum gelungene Expedition gewesen ist, war es doch eine spannende und natürlich auch anstrengende Erfahrung. Mit einer ausgezeichneten Mannschaft haben wir die Schwierigkeiten und Strapazen gemeistert. Wir haben ungezählte Spalten überschritten, ein unglaubliches Chaos von Wasserrinnen und Eisbuckeln bewältigt, die unvermeidlichen Blasen und Druckstellen an den Füßen ertragen und trotz allem und vor allem Spaß gehabt!
Die wissenschaftlichen Ergebnisse sind allerdings alarmierend! Seit 10 Jahren habe ich das Eis in Grönland immer wieder besucht. Der Massenverlust der südlichen Eiskappe hat sich zwischen 2002 und 2010 etwa verdoppelt. Im vergangenen Sommer stellten wir dann eine Verdreifachung (!) des Massenverlustes in nur zwei Jahren fest. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird in nur wenigen hundert Jahren das Eis im Süden Grönlands verschwunden sein! Heute ist es noch mehr als 2500 m dick. Eine gigantische Wassermasse wird in den Weltozean gelangen und den Meeresspiegel um mehr als einen Meter ansteigen lassen. Heute sind es noch wenige Millimeter pro Jahr.
Wo die Hauptursachen des Klimawandels liegen, kann nur schwer bewiesen werden, aber einen Anteil daran hat die Menschheit zweifellos und ihr Verhalten trotz besseren Wissens noch immer nicht geändert.
Jetzt sitzen wir wieder zu Hause, trainieren auf dem Rad oder laufend für die nächste Tour. Eigentlich sollte für mich Schluss sein, aber eine solche halbfertige Unternehmung kann nicht unvollendet zu den Akten gelegt werden. Im August 2014 wird eine neue Mannschaft aufbrechen, die Messungen des vergangenen Sommers zu beenden. Wer genau dabei sein wird steht noch nicht fest. Für mich ist der Termin im Kalender eingetragen…
Wilfried Korth
Weiterführende Links:
Dienstagsgruppe
Fotos
Grönlanddurchquerung